Das Jahrhundert der Hexen by Sergej & Marina Dyachenko

Das Jahrhundert der Hexen by Sergej & Marina Dyachenko

Autor:Sergej & Marina Dyachenko [Sergej & Dyachenko, Marina]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-09-02T11:05:06.203000+00:00


»Und dann?«

»An dem Abend bin ich abgehauen. Zu meiner Tante. Nach Rydna.«

In dem halbdunklen Café war die Luft graublau vom Tabakqualm. Ein Mädchen weinte, in die Ecke gekauert, in der zitternden Hand eine Mappe, die nicht zugebunden war, deren Schnüre vielmehr lose herabhingen. An die mit grauem Leinen bespannte Tafel kam aufgrund der vielen durchgedrückten Rücken niemand heran. Es roch nach Schweiß und Parfüm, vor allem aber nach Rauch.

»Hast du's geschafft?«, fragte der junge Mann mit dem braun gebrannten Gesicht, den hohen Backenknochen und dem Dreitagebart. »Hey, Rothaarige … haben sie dich genommen?«

Das rothaarige Mädchen fuhr zusammen. Seit einiger Zeit erschrak sie ständig, wenn sie jemand ansprach. »Ich bin … ich bin nicht zur Tafel durchgekommen.«

»Bist du so schwach?«, wunderte sich der Mann. »Wenn du willst, seh ich mal für dich nach.«

Die Rothaarige nickte.

»Wie war dein Familienname? Lys?«

Am Eingang keifte jemand. Oben stand, ganz in der Nähe der Wendeltreppe, ein ordentlicher junger Mann in einem blendend weißen Hemd. Er fand ein großes Vergnügen daran, zwei Stufen über den anderen zu stehen und mit weisem und müdem Blick auf sie, diejenigen, die gerade erst die Schule hinter sich hatten, herabzusehen.

»Hey, Lys! Stell den Schampus kalt und schwing das Tanzbein!«

Die junge Frau blickte verblüfft drein. Offenbar konnte sie es nicht glauben.

Irgendwo weiter oben, in einer selbst für den ordentlichen Jüngling unerreichbaren Höhe, öffnete sich eine Glastür. Ein fülliger Mann mit einer flachen Ledertasche winkte mit einem weißen Blatt Papier wie mit einem Taschentuch. Eilfertig nahm der Ordentliche das Papier aus den weichen Händen entgegen und las es mit gerunzelter Stirn durch. »Achtung, eine wichtige Durchsage!«, verkündete er. »Die Studenten des ersten Semesters wenden sich wegen des Wohnheims an … Die wehrpflichtigen Studenten melden sich in Zimmer fünf … Alle immatrikulierten Hexen …«, hier senkte der Student unwillkürlich die Stimme, während sich ein seltsamer Ausdruck in sein Gesicht schlich, »… haben persönlich beim Direktor zu erscheinen und das Dokument ihrer Registrierung bei der Kreisinquisition vorzulegen.«

»Die nehmen Hexen«, keifte die verweinte junge Frau mit der offenen Mappe. »Die nehmen Hexen … Ist denn das die Möglichkeit?«

Man sah sie mit mitleidsvollem Argwohn an.

Denn bei Lichte betrachtet nahm man Hexen doch nirgendwo an.



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